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Baden Powell

Foto Musiq XXL, Frankreich

Saravá, Baden Powell!

Am 26. September 2000 starb Baden Powell in Rio de Janeiro. Die Nachricht vom Tod des 63-jährigen Gitarristen und Komponisten löste in der bra­silianischen und auch in der internationalen Musikszene ein starkes Echo aus.

Baden Powell wirkte mehr als vier Jahrzehnte lang als einer der wichtigsten Musiker der „Música Popular Brasileira“. Erfolgstitel wie „Samba em Prelúdio“, „Berimbau“ oder „Canto de Ossanha“ entstammen seiner Zusammenarbeit mit dem legendären Bossa-Nova-Poeten Vinícius de Moraes. Zahlreiche Auftritte Baden Powells in Frankreich und Deutschland – so im Pariser Olympia und in der Berliner Philharmonie – machten die brasilianische Musik auch in Europa bei einem breiteren Publikum bekannt. Seine wichtigsten Plattenaufnahmen entstanden in diesen beiden Ländern, bei Eddie Barclay in Paris und – von Joachim Ernst Berendt produziert – bei SABA/MPS.

Vom Vorstadtschwoof an die Copacabana

Als der schmächtige Knabe in dem viel zu weiten weißen Anzug im Studio von „Radio Nacional“ seine Gitarre auspackt, ahnt niemand, dass eine Weltkarriere beginnt, ihren Lauf zu nehmen. Der gerade mal Zehnjährige hat sich bei der Talentshow des Rundfunksenders angemeldet und spielt sich warm, um sein Lampenfieber in den Griff zu bekommen. Allenfalls auf Grund seines skurrilen Namens ist der Jüngling bis zu diesem Zeitpunkt aufgefallen: Das brasilianische Namensrecht ist äußerst liberal und schreitet auch nicht ein, als der für die Pfadfinderbewegung begeisterte Schuhmacher Lilo de Aquino seinem Sohn den Namen des britischen „Boy-Scout“-Gründers verpasst: Baden Powell. Das Schicksal, mit einem etwas sonderbaren, die Vorlieben der Eltern widerspiegelnden Vornamen durchs Leben laufen zu müssen, teilt der 1937 geborene Baden Powell de Aquino mit unzähligen Landsleuten. So wimmelt es auch heute in Brasilien von Kennedys, Jeffersons und Wagners, die sich gegenüber den vereinzelten Mussolinis und Rommels noch glücklich preisen dürfen.

Den Zuhörern des Talentschuppens von „Radio National“ vergeht rasch das Schmunzeln, als sich der zierliche Knabe über seine große Gitarre beugt. Mit makelloser Technik und souveränem Swing trägt Baden den Chôro „Magoado“ von Dilermando Reis vor – ein Ohrwurm aus der Feder des damals populärsten brasilianischen Gitarristen. Publikum und Jury sind begeistert, erkennen Baden Powell einstimmig den ersten Preis der Talentshow zu.

Schon früh lernt Baden Powell das Repertoire der volkstümlichen Musik kennen, wird mit acht Jahren von dem Gitarrelehrer Jaime Florence „Meira“ unter die Fittiche genommen. Rasch erkennt Meira die überdurchschnittliche Begabung seines Schülers und macht ihn mit der klassischen Gitarrenliteratur vertraut, von Sor bis Tárrega, von Bach bis Villa-Lobos. Meira bringt Baden Powell mit legendären Chôro- und Samba-Musikern wie Pixinguinha und Donga zusammen. Baden beginnt durch die Tanzlokale der Vorstädte zu tingeln. Das zumeist magere Entgelt wird für die Familie zur lebenswichtigen Einnahmequelle, als Vater Lilo mit seinem Schuhgeschäft Pleite macht. Um sich in den lärmenden Tanzkaschemmen besser durchsetzen zu können, ersteht Baden Powell eine E-Gitarre, für die er lange sparen muss. In den Pausen zwischen den Auftritten übt er hinter der Bühne Blues und Jazz-Standards. Wenn er mal kein Engagement hat, klettert Baden den Hügel der Mangueira hinauf – eine der berühmtesten Sambaschulen Rios – und steigt für ein paar Stun­den in der Begleitkapelle ein.

Rio de Janeiro im Jahre 1954: In die Bar des „Hotel Plaza“ unweit des Copacabana-Stran­des haben sich nur wenige Gäste verirrt, die in den Plüschsesseln hocken und zur Happy Hour ihre Drinks schlürfen. Der Pianist und Sänger Jonny Alf spielt mit seinem nach dem Vorbild Nat King Coles gebildeten Trio Schnulzen und Boleros. An der Gitarre sitzt kein geringerer als Garoto, der zu den Vorbil­dern von Baden Powell gehört. Die Musiker schalten nach einem Blick in das gähnend leere Lokal von gepflegter Barmusik auf Im­provisation um und spielen, was ihnen am Herzen liegt: BeBop, Cool Jazz und eine neue „coole“ Art, den Samba – gewissermaßen in Zeitlupe – zu spielen. Der neue Stil wird bald als Bossa Nova bekannt.

Der Pianist Ed Lincoln stellt schon kurz darauf mit Baden Powell ein neues Trio zusammen. In kürzester Zeit wird die „Plaza“-Bar zum Geheimtipp der Jazzfans und zum Treffpunkt der innovativsten Musiker von Rio. Während der spätere Bossa-Nova-Megastar Joäo Gilberto – erst 1958 erlebt er seinen Durchbruch mit dem Titel „Chega de Saudade“ – sich noch als Nobody durch die Nachtlokale schlagen muss, ist Baden Powell bereits ein gefragter Instrumentalist, der aufstrebende Talente wie die Sängerin Silvinha Telles begleitet. Er wird immer öfter als Studiomusiker herangezogen, spielt bald in der Midnight-Bar des legendären „Copacabana-Palace“, eines für seine rauschenden Karnevals- und Silvesterpartys berühmten Luxushotels. Im großen Veranstaltungssaal des Prachtbaus tritt die internationale Prominenz auf: Sammy Davis Jr., Nat King Cole und Ella Fitzgerald, Coleman Hawkins und Dizzy Gillespie, Marlene Dietrich und Sacha Distel – für Baden Powell eine willkommene Gelegenheit, interessante Bekanntschaften zu schließen und seinen musikalischen Horizont zu erweitern.

Bossa Nova und Afro-Samba

Baden Powell nimmt 1960 bei Philips eine erste Soloplatte auf, die einen Achtungserfolg erzielt. Der große Durchbruch jedoch lässt weiterhin auf sich warten. Baden bleibt auf Auftritte in den einschlägigen Nachtlokalen angewiesen, wo er eines Abends den mit Tom Jobim befreundeten Diplomaten und Dichter Vinícius de Moraes kennenlernt. Vinícius zeigt sich begeistert von der Virtuosität und Improvisationskunst des jungen Gitarristen und lädt ihn zu sich nach Hause ein. Schnell schließen die ungleichen Partner Freundschaft: Baden Powell, der mittellose Bursche aus dem einfachen Milieu der Vorstadt, und Vinícius de Moraes, der weltgewandte, im Umgang mit Politikern, Schriftstellern und Künstlern geübte Diplomat.

Für Baden Powell öffnet sich die Tür zum sozialen Aufstieg: Vinícius tischt seinem Gast statt „Cachaça“, dem volkstümlichen Zuckerrohrschnaps, schottischen Whisky auf, der zum Komplizen der beiden Bohemiens wird. Für Vinícius sind die nun anbrechenden tagelangen Trinkgelage lustvoller Ausbruch aus der Routine des Beamtendaseins. Der wortkarge, zeitlebens zu Depressionen neigende Baden Powell hingegen braucht schon lange sein Quantum an Alkohol, um aufzutauen und sich mitteilen zu können. In Vinícius’ Appartement beginnt eine intensive Zusammenarbeit. Nach einem Vierteljahr sind nicht weniger als 25 Lieder fertig gestellt – alles Titel, die später zu Standards der „Música Popular“ werden: „Samba da Benção“, „Samba em Prelúdio“, „So por Amor“, „Consolaçäo“, „O Astronauta“. Als Vinícius seinem Partner einige Zeit danach eine Platte mit Folklore aus Bahia vorspielt, nimmt Baden die Anregung auf. Nun entsteht die Afro-Samba-Serie „Berimbau“, „Canto de Ossanha“, „Canto de Xangô“, „Canto de lemanjá“ – Baden Powells bedeutendster kompositorischer Beitrag zur „Música Popular Brasileira“. Mit den Afro-Sambas führt Baden Powell einen bislang eher tabuisierten Bereich der afro-brasilianischen Kultur in die „Música Popular Brasileira“ ein: Die Musik huldigt den Gottheiten des Candomblé, die von der katholischen Kirche stets als „schwarze Magie“ bekämpft und auch von den Candomblé-Priestern streng vor der nicht eingeweihten Öffentlichkeit abgeschirmt wurden. Mit den bahnbrechenden Werken überwindet Baden Powell den unterkühlten, kommerziell inzwischen ausgebeuteten Bossa Nova und führt die brasilianische Musik „back to the roots“, mit faszinierenden Klängen zwischen Trance und Dissonanz, zwischen der Erinnerung an die Leiden der Sklaverei und dem brasilianischen Traum vom Schmelztiegel der Rassen und Kulturen.

Highlife und Heimweh

Vinícius ist inzwischen nach Paris versetzt worden, und Baden folgt ihm bald darauf mit seiner jungen Frau Heloísa, die er noch kurz davor geheiratet hat. Der in brasilianische Musik vernarrte französische Sänger und Dokumentarfilmer Pierre Barouh, eine Zufallsbekanntschaft aus den ersten Pariser Tagen, ebnet Baden Powell die Wege in die Pariser Musikszene. Badens erster Auftritt 1963 im Musiktempel „Olympia“ wird zum Triumph. Noch wichtiger ist die von Barouh vermittelte Bekanntschaft mit dem Plattenproduzenten Eddie Barclay, der große Chansonniers wie Charles Aznavour, Charles Trenet und Jacques Brel unter Vertrag hat. Der aufgeschlossene, jedoch auch kritische Barclay lässt sich von Baden einige Kostproben seines Könnens geben und zeigt sich sogleich überzeugt. Er schließt mit ihm einen Exklusivvertrag und zahlt ihm einen großzügigen Vorschuss auf sechs Platten. Bereits Badens erste bei Barclay verlegte LP, die 1964 auf den Markt kommt, wird ein Verkaufsschlager: „Le Monde Musical de Baden Powell“, ein gefälliges Potpourri aus brasilianischen Erfolgsmelodien – u.a. Jobims „Garôta de Ipanema“ und Badens „Samba Triste“ – und streicherunterlegten Barockstücken. Von der Platte werden bis 1967 über 100.000 Stück verkauft. Baden kann seiner erste „Goldene“ verbuchen.

Euphorisch kostet Baden in Paris seine Erfolgssträhne aus, tritt mit Showstars wie Gilbert Bécaud im Fernsehen auf, schließt Bekanntschaft mit Brigitte Bardot und lässt sich von einer Party zur anderen weiterreichen. Er tritt im „Bilboquet“ auf, einer Nobelbar, in der Alain Delon, Roger Vadim und Steve McQueen ein und ausgehen. Doch nach zwei Jahren wird das Ehepaar vom Heimweh geplagt. 1965 beschließt Baden, für einige Monate nach Brasilien zurückzukehren, um seine vom rastlosen Nachtleben strapazierte Ehe zu retten und eine Ruhepause einzulegen. Der Euphorie, wieder in der Heimat zu sein, folgt die Ernüchterung: Brasilien hat sich grundlegend verändert. Der Militärputsch von 1964 hat die Aufbruchstimmung der 50er Jahre restlos hinweggefegt. Vinícius de Moraes mit seinem ausschweifenden Liebesleben und seinen respektlosen Versen ist den Generälen inzwischen ein Dorn im Auge. Der in der Politik völlig unbewanderte Baden Powell ist verunsichert, wird jedoch von der Öffentlichkeit mit offenen Armen empfangen. Eine Reihe glanzvoller Fernsehauftritte gibt Baden neuen Schwung. Die bereits angeschlagene Ehe mit Heloísa zerbricht, als Baden der erst 18-jährigen Tereza Drummond begegnet. Heloísa ist von den fünf Jahren Zusammenleben mit Baden und seinen Trinkexzessen ausgelaugt und lässt ihn ziehen.

Neuanfang in Rio

Badens Terminkalender füllt sich rasch: Der Fernsehsender „TV Record“ engagiert Baden für die Musikshow „O Fino do Bossa“, wo er mit dem Gitarristen Paulinho Nogueira und den Sängerinnen Elis Regina und Norma Bengell auftritt. Sein Haus am Strand der Barra da Tijuca wird zum Treffpunkt der Musikwelt. Es kommt zum Wiedersehen mit alten Bekannten wie Sérgio Mendes oder Luis Bonfá. Die Zusammenarbeit mit dem alten Freund Vinícius erneuert sich hingegen nicht und Baden wagt einen Neuanfang mit dem Dichter Paulo César Pinheiro. Obwohl er sich im Aufwind fühlt – auch von seiner neuen Beziehung zu der attraktiven Tereza Drummond beflügelt – lassen sich die Folgen des langjährigen Alkoholismus nicht mehr verdrängen: Baden muss – kaum 30jährig – eine erste Entziehungskur antreten, der bald zahllose weitere folgen werden.

Sogleich nach seiner Entlassung aus der Klinik erreicht ihn eine Nachricht aus den USA: Stan Getz lädt ihn ein, um mit ihm zu konzertieren. Voller Unternehmungslust steigt Baden ins Flugzeug nach New York. Doch Getz hat es versäumt, eine Arbeitsgenehmigung für seinen brasilianischen Freund einzuholen, lässt sich zudem nach Ausbruch einer Ehekrise wochenlang nicht in seiner Villa in Buffalo blicken. Es bleibt bei einem einzigen gemeinsamen Gig und Baden kehrt nach einem halben Jahr, das er hauptsächlich in Getz‘ Heimstudio verbringt, enttäuscht nach Brasilien zurück.

In Rio hat inzwischen der deutsche Produzent und Musikschriftsteller Joachim Ernst Berendt Badens Spur aufgenommen und produziert mit ihm die erste – noch in einem Tonstudio in Rio aufgenommene – Platte für das neue Label SABA: „Tristeza on Guitar“. Es gelingt Berendt auch, Baden zu den Berliner Jazztagen 1967 in die Philharmonie zu bitten, wo er an der Seite von Buddy Guy, Jim Hall und Barney Kessel einen ersten triumphalen Erfolg in Deutschland feiert. Auf den zuerst bei SABA, dann bei MPS produzierten Platten fördert der musikalisch einfühlsame Berendt stets die „jazzige“ Seite von Badens Spiel,  stellt ihm mit dem Bassisten Eberhard Weber und dem Schlagzeuger Charly Antolini zwei erfahrene Jazzer zur Seite. „Tristeza on Guitar“ enthält eine eindrucksvolle Version des Thelonious Monk-Klassikers „Round Midnight“, „Poema on Guitar“ – die zweite LP der „Schwarzwald“-Serie – den Hammerstein/Kern-Song „All the Things You are“. Baden befindet sich auf einem künstlerischen Höhepunkt und beabsichtigt nach seiner ersten Japantournee 1970 auch an seine Kontakte in Frankreich anzuknüpfen, wo er Jahre zuvor seinen Durchbruch erlebte.

Rückkehr nach Paris

Baden wird in Paris mit offenen Armen empfangen. Zwar spielt Eddie Barclays einstiges Erfolgs-Label inzwischen keine Rolle mehr, doch schließt Baden mit dem Jazzlabel „Musidisc“ einen neuen Vertrag, das große Namen wie Oscar Peterson und Dizzy Gillespie im Programm führt. Da die brasilianische Militärdiktatur ihren ausreisewilligen Bürgern eine saftige „Ausreisesteuer“ abpresst – die für Baden von Musidisc übernommen wird – muss eine neue Begleitband aus in Europa ansässigen Musikern zusammengestellt werden. Der Bedeutendste unter ihnen ist der Bassist Guy Pedersen, mit dem Baden die meisten Konzerte und Plattenaufnahmen der folgenden Jahre bestreiten wird.

Zwei unter Zeitdruck aufgenommen LPs mit dem alten Django-Reinhardt-Partner Stephane Grappelli bleiben im künstlerischen Ergebnis unbefriedigend. Erfreulich dagegen ist die Begegnung mit der Jazzsängerin Jeanine de Waleyne, eine Meisterin der Improvisation, die es kongenial versteht, sich auf Badens Stil einzulassen. Auch Joachim Ernst Berendt produziert für MPS eine LP mit dem Duo: „Images on Guitar“.

Der von Brasilien und seiner Musik begeisterte Chansonnier Claude Nougaro lernt Baden in Paris kennen und engagiert ihn sogleich für mehrere Tourneen, die die finanzielle Situation des Gitarristen für eine Weile stabilisieren. Die aufreibende Konzerttätigkeit und die sich wieder intensivierenden Alkoholprobleme laugen Baden jedoch aus und stürzen ihn Mitte der 1970er Jahre in eine ernste Gesundheitskrise, auf deren Tiefpunkt Baden nur noch 43 Kg wiegt. Sílvia, die ehemalige Frau des Bandschlagzeugers, mit der Baden inzwischen zusammenlebt, bemüht sich Baden aus seiner chronisch gewordenen Not herauszuhelfen. Die frühere Krankenschwester verdünnt Badens Whisky heimlich mit Wasser, besänftigt aufgebrachte Konzertorganisatoren mit zusammengeflunkerten Krankheits- und Unfallgeschichten, während Baden zu Hause seinen Rausch ausschläft. Immer kürzer werden die Abstände, in denen sich Baden in stationäre Behandlung begeben muss.

Als Sílvia am 15. April 1978 den ersten gemeinsamen Sohn Philippe Baden zur Welt bringt, scheint sich eine Phase der Stabilität abzuzeichnen: Baden rührt drei Jahre lang keinen Tropfen Alkohol an, sucht auch mit Hilfe der Religion sein spirituelles Gleichgewicht wiederzuerlangen und tritt nur noch in weissen Gewändern auf, ganz im Stil der Anhänger des afrobrasilianischen Candomblé-Kultes. Im September 1978 zeigt sich Baden im Pariser Olympia bei einem gemeinsamen Konzert mit Tom Jobim, mit seinem alten Freund Vinícius und dessen neuen Gitarristen Toquinho sowie der Sängerin Miúcha so ausgeglichen und lebensfroh wie seit Jahren nicht mehr.

Erst Vinícius‘ Tod im Juli 1980 beendet diese glückliche, von einer Reihe erfolgreicher Auftritte in Frankreich, England und Italien gekrönte Zeit. Ein knappes Jahr danach kommt es zum Rückfall: Baden muss reihenweise Konzerttermine absagen. Seine finanzielle Situation verschlechtert sich aufgrund der hohen Vertragsstrafen und des Verdienstausfalls dramatisch. Als Sílvia erneut schwanger wird, ringt sich Baden dazu durch, seine Karriere wieder in den Griff zu bekommen. Nach der Geburt des zweiten Sohnes Louis-Marcel im März 1982 tritt Baden eine Deutschlandtournee an, die trotz chaotischer Begleitumstände künstlerisch ein beachtlicher Erfolg wird.

Baden in Baden-Baden

Da sich Baden über den Zuspruch des deutschen Publikums freut und sich auch organisatorisch gut betreut fühlt, kommt ihm die Idee, eine längere Weile in Deutschland zu verbringen. Für einen Umzug sprechen auch pragmatische Gründe, etwa die hohen Steuern in Frankreich und die günstigen GEMA-Bedingungen in Deutschland. Zudem machen auf den abergläubischen Baden die Weissagungen des Nostradamus Eindruck, der für Frankreich Unheil voraussagt. Baden beschließt, seinen Wohnsitz nach Baden-Baden zu verlegen. Die Namensgleichheit deutet er als gutes Omen, außerdem ist die Nähe zu Frankreich ein Vorteil. Doch wird der bisher an den Lebensrhythmus der turbulenten Millionenmetropolen Rio de Janeiro und Paris gewöhnte Musiker in der ereignisfreien Kleinstadt bald von Langeweile und Einsamkeit überwältigt. Während sich die Kinder schnell in der neuen Umgebung einleben, übersteht Baden den langen deutschen Herbst und Winter nur unter ständiger Alkoholzufuhr. Abermals leiden die Auftritte darunter und allein Badens beachtliches Improvisationstalent bewahrt ihn mehr als einmal vor einem Fiasko auf der Bühne., nachdem er regelmäßig das vereinbarte Programm „schmeißt“.

Die innere Leere sucht Baden durch einen großspurigen Lebenswandel zu kompensieren. In der Garage der zweistöckigen Luxusvilla mit Sauna und Swimmingpool steht ein weißer Jaguar, den Baden bald mit seinem ruppigen Fahrstil ruiniert. Regelmäßig fährt die Familie zum Einkaufsbummel nach Paris, so dass die Finanzreserven rasch aufgezehrt sind. Auch künstlerisch verliert er allmählich den Kontakt zu seinen Wurzeln: In Brasilien ist inzwischen eine neue Generation von Musikern am Zuge. Die aus Salvador da Bahia stammenden Stars des „Tropicalismo“ beherrschen die Szene: Das androgyne Geschwisterpaar Maria Bethânia und Caetano Veloso sowie der dynamische Afrobrasilianer Gilberto Gil, die mit rockigen und emanzipatorischen Songs dem Freiheitsdurst der Jugend Ausdruck verleihen. Zu den Idolen gehören auch der aus Rio stammende Chico Buarque, der in seinen poetisch-intellektuellen Liedern die Diktatur und ihre Hofschranzen verspottet. Der temperamentvolle Gitarrist und Sänger João Bosco aus Minas Gerais geht den einst von Baden mit seinen Afro-Sambas vorgezeichneten Weg weiter und kreiert einen aufregenden, von Scatgesang und Lautmalereien geprägten Gesangsstil. Baden ist plötzlich zum Veteran geworden, der von jüngeren brasilianischen Weltmusikern wie dem innovativen Egberto Gismonti in den Schatten gestellt wird. Die Plattenfirmen verlieren allmählich das Interesse an Baden, die Familie bricht schließlich die Zelte in Baden-Baden ab und tritt die Rückreise nach Rio an.

Back to the roots

Die bedeutendste LP, die Baden in den 1980er Jahren aufnimmt, stellt den gelungenen Versuch dar, wieder in der Vergangenheit Fuß zu fassen und Kraft in den Wurzeln der „Música Popular Brasileira“ zu schöpfen. Das 1989 erschienene Album „Violão em Seresta“ enthält Titel der Altmeister Pixinguinha und Patápio Silva aber auch einige Kompositionen, die aus der Zusammenarbeit mit Vinícius stammen. Das Album, dessen Titel etwa „Gitarrenserenade“ bedeutet, beschwört die Atmosphäre, wie sie einst in Badens Geburtsort Varre-Sai zu den abendlichen Gesangsrunden geherrscht haben mag. Große Tourneen oder auch ausgedehnte Konzerte absolviert er in seinen letzten Lebensjahren nicht mehr und seine vereinzelten Auftritte stehen zumeist im Zeichen der Nostalgie. Auch widmet Baden sich der musikalischen Ausbildung seiner Söhne, des Gitarristen Louis-Marcel und des Pianisten Phillippe, mit denen er zwei CDs aufnimmt. Sein letztes Solo-Album stellte Baden im Juni 2000 in São Paulo vor: „Baden, João Pernambuco e o Sertão“, eine Verbeugung vor João Pernambuco, der als größter brasilianischer Gitarrist und Gitarrekomponist der ersten Jahrhunderthälfte gilt.

Als Baden Powell am 24. August 2000 mit einer schweren Lungenentzündung ins Krankenhaus eingeliefert wird, befürchten Freunde und Verwandte das Schlimmste. Bereits seit Jahren sieht man Baden seine Hinfälligkeit, die Mühe, die ihm seine selten gewordenen Konzertauftritte machen. In guten Momenten blitzen jedoch noch die Qualitäten seines Spiels auf, die ihn einst berühmt machten: Der kraftvolle, mitunter rauhe Anschlag, die explosiven Soli und der vitale, nie ermüdende Drive. Baden Powell hat – und dies ist neben seinen unzähligen zu Standards gewordenen Kompositionen seine größte Leistung – die brasilianische Musik sowohl von der Gefälligkeit plätschernden Bargedudels als auch vom Image des ewig gut gelaunten Karnevalliedes befreit, ihr eine unverwechselbare Expressivität verliehen, die sie auf ein mit den großen Weltmusikkulturen ebenbürtiges Niveau erhoben hat.

Manuel Negwer (zuerst in Akustik Gitarre, Nr. 128  01/2001)