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Eduardo Falú

Foto La Voz, Argentinien

Eine Gitarre für Südamerika

Man verglich ihn mit Francisco Tárrega und Fritz Kreisler, bescheinigte ihm, dass er auch neben Andrés Segovia eine gute Figur abgegeben hätte: Um der Ausstrahlung des Sängers und Gitarristen Eduardo Falú gerecht zu werden, sind immer wieder Superlative herangezogen worden. In den sechziger Jahren priesen ihn aus dem Häuschen geratene Fans als argentinische Antwort auf die Beatles, trotz Falús zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend haarfreier Frisur.

Die Lobeshymnen gelten einem Künstler mit unverwechselbarem Profil: Der über eine sonore Baritonstimme verfügende Eduardo Falú verblüffte bei seinen ersten Auftritten in den 1940er Jahren durch seine virtuose Gitarrebegleitung. Und zweifellos hätte er sich auch ohne seine Sangesgaben einen Platz auf dem Olymp der Gitarre erobert. Falú wurde am 7. Juli 1923 in der nordargentinischen Provinz Salta am Fuße der Anden geboren, wo sich Elemente der autochthonen Kultur erhalten haben, denn das Reich der Inkas, dessen Machtzentren im heutigen Bolivien und Peru lagen, erstreckte sich bis nach Nordwestargentinien.

Die Anfänge in Salta

Salta, die Provinzhauptstadt gleichen Namens, erinnert mit ihrer kolonialspanischen Architektur an Sevilla in Andalusien und Sucre in Bolivien. Sie wurde 1582 als Handelsposten gegründet und gelangte als Versorgungsstation – berühmte wurde der Maultier- und Pferdemarkt – zwischen dem Hochland und dem Hafen von Buenos Aires zu Bedeutung. Im Norden Argentiniens entstanden auch die ersten Zentren eines von Dominikanern und Jesuiten organisierten Musiklebens: In den Missionsschulen von Tucumán, Santiago del Estero, Córdoba, Mendoza, Santa Fé und Yapeyú wurden Chorgesang und Orgelspiel gepflegt, im Zeichen der Christianisierung der einheimischen Bevölkerung.

Die Gesänge und Lieder jener Zeit, etwa die altspanischen Romanzen, überlebten. Einst hatten die Spanier ihren Eroberungszug gegen die Mauren besungen. Über dreihundert Jahre später machten sich die argentinischen Freiheitskämpfer in dem Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien mit Gesängen zur Gitarre Mut. Der Befreier Argentiniens, General José de San Martín, war ein begeisterter Anhänger des Instrumentes, ebenso der Diktator Juan Manuel de Rosas und seine Tochter Manuelita.

Der junge Eduardo Falú – Sohn syrischer, nach Argentinien ausgewanderter Christen – entdeckt eines Tages in der Gemischtwarenhandlung seines Vaters eine Lieferung Gitarren, die zwischen dem Werkzeug und anderen Utensilien von der Decke hingen. Die in der Bergregion nicht selten vorkommenden Erdstöße versetzten die Instrumente in Schwingung und es erklang eine „geheimnisvolle Sinfonie“, die den Knaben in ihren Bann zog, wie er später erzählte. Angeregt durch seinen Bruder Alfredo und den Dorffriseur – beide waren passionierte Gitarristen – beschließt der junge Eduardo es ihnen gleichzutun. Auf einem Instrument der seinerzeit berühmtesten argentinischen Musikalienhandlung „Antigua Casa Núñez“ erlernt Eduardo das Gitarrespiel autodidaktisch, arbeitet die Etüdenwerke von Sor, Aguado und Tárrega durch. Nach Schulabschluss und Militärdienst fällt die Entscheidung für die Musik: Eduardo Falú absolviert erste Auftritte in Salta und Umgebung.

Salta hat seine Traditionen bewahren können, ist eine Stadt der Poeten und Sänger geblieben – eine scherzhafte Schätzung spricht von einem Dichter auf hundert Einwohner. Die Liebe zur Musik und zur heimatlichen Folklore öffnet Eduardo Falú den Zugang zur Bohème. Er nimmt an den Bacchanalen der Dichter, der Originale und Musikbesessenen teil, trinkt, musiziert und singt mit ihnen.

Erste Erfolge in Buenos Aires

Mit den berühmtesten Poeten der Stadt – Jaime Dávalos, Manuel Castilla, Cuchi Leguizamón – schließt Falú Freundschaft und schreibt in der Folgezeit unzählige Lieder mit ihnen. Die Partnerschaft mit César Perdiguero wird entscheidend für die Karriere des jungen Gitarristen. Beide fahren 1945 nach Buenos Aires, wo sie eine Reihe von beachteten Auftritten haben. Falú vertont mehrere Gedichte Perdigueros, vor allem zwei davon werden zu den erfolgreichsten Liedern seiner Laufbahn: „India Madre“ – die Beschwörung der Inka-Vergangenheit – und „Tabacalera“, die Schilderung des harten Loses der Tabakpflücker.

1948 kommt es zur Zusammenarbeit mit dem Rundfunksender „Radio Splendid“ in Buenos Aires, die Falús Bekanntheitsgrad landesweit erhöht. Von nun an ist der Künstler ständig auf Tournee und kann 1950 für das Label „Music Hall“ seiner ersten Platten aufnehmen. Die 1950er Jahre sind in Argentinien eine äußerst bewegte Dekade. Der nationalistische Präsident Juan Domingo Perón führt an der Seite seiner charismatischen Frau Evita das Land bis zu seinem Sturz 1955 mit harter Hand. Seine Doktrin vom „Peronismus“ löst eine Welle von Nationalstolz aus, als deren Folge ein Folklore-Boom anhebt, der im Gegensatz zu dem stets etwas anrüchigen Großstadt-Tango im Landesinneren wurzelt. Folkloregruppen, die in Gauchotracht auftreten – Los Fronterizos, Los Chalchaleros, Los Cantores de Quilla Huasy – treffen sich jährlich auf dem Festival von Cosquín in der Provinz Córdoba. Der Pianist und Komponist Ariel Ramírez schreibt seine rasch berühmt werdende „Misa Criolla“ und die Weihnachtsmesse „Navidad Nuestra“, die auf einheimischen Rhythmen basieren. In Rinderfell gebundene Geschenkausgaben des „Martin Fierro“, des nationalen Gaucho-Epos von José Hernández sind Ausdruck einer beginnenden Verkitschung der Tradition. Der Altmeister Atahualpa Yupanqui singt gegen das allzu polierte Selbstbild der Nation an und schreibt seine über einstündige Milonga „El Payador perseguido“ – quasi eine neue Version des „Martín Fierro“ -, in der er autobiographische Erfahrungen mit sozialkritischen Akzenten verbindet.

Eduardo Falú hingegen gehörte nie zu den Rebellen, Protestlern oder linken Kritikern der politischen Verhältnisse. Doch ragte sein Schaffen stets durch das hohe künstlerische Niveau aus den Massenprodukten der Folkloreindustrie hinaus. In seinem Liedrepertoire finden sich existenzielle Themen und melancholische Liebeschansons, die in den Volksliedschatz Argentiniens eingegangen sind, so „Tonada del viejo amor“, „Trago de Sombra“ und „Resolana“.

Einen Höhepunkt seiner Laufbahn bildet die Zusammenarbeit mit dem Romancier Ernesto Sábato, der sich mit seinem 1961 erschienenen Roman „Über Helden und Gräber“ einen Namen gemacht hatte. In einem Kapitel des Werkes, das sich mit Geschichte und Identität Argentiniens auseinandersetzt, wird das Schicksal des Generals Lavalle wiedergegeben, eines Helden des Unabhängigkeitskrieges gegen Spanien. Lavalles Tragödie besteht darin, dass er in dem darauffolgenden Bürgerkrieg einen alten Waffengefährten – der inzwischen auf der Gegenseite kämpft – standrechtlich erschießen lassen muss.

Sábato gestaltete diese Episode zu einem auf der argentinischen Folklore basierenden Epos. Er spricht Eduardo Falú auf das Projekt an, der begeistert seine Mitarbeit zusagt und Sábatos literarische Vorlage vertont. Bis ins hohe Alter traten Sábato und Falú mit ihrem gemeinsamen Werk „Romance de la Muerte de Juan Lavalle“ auf, das schnell Kultstatus erreichte.

Der Komponist Eduardo Falú

Falús internationaler Aktionsradius erweitert sich rasch: 1959 fährt er nach Paris, wo er seine erste in Europa produzierte LP aufnimmt. 1963 reist er nach Japan, 1964 folgt die erste US-Tournee. Zu Japan entwickelt er eine tiefe Zuneigung und kehrt fast jedes Jahr dorthin zurück. In den 1970er Jahren kommt es – u.a. mit der „großen alten Dame“ der argentinischen Gitarre, María Luisa Anido – zu mehreren Gastspielreisen nach Italien, Holland und Deutschland. Vor allem durch sein auf lateinamerikanische Dichter und Komponisten fokussiertes Repertoire erregt er das Interesse des europäischen Publikums.

Hinter seinen großen Erfolgen als Solist erfährt der Komponist Eduardo Falú oftmals nicht die verdiente Beachtung. Doch bereicherte er das Gitarrenrepertoire um eine Riehe von Werken, denen man auch außerhalb Argentiniens eine größere Verbreitung wünscht, stehen sie doch hinter den folkloristisch inspirierten Kompositionen von Fleury, Barrios, Gómez Carrillo oder Guastavino kaum zurück. Falú steht als Tonsetzer in der Tradition der national-romantischen Bewegung seines Landes. Bereits in den 20er und 30er Jahren des 19. Jahrhunderts begannen Komponisten wie Giacomo Massoni und Pablo Rosquellas Volksgut zu verarbeiten. Unter den Gitarristen jener Zeit verdient Estéban Echevarría erwähnt zu werden, der in Paris mit Fernando Sor zusammentraf. Weitere bedeutenden Vertreter der Nationalbewegung waren Arturo Berruti, Alberto Williams, Julián Aguirre, Carlos López Buchardo und Felipe Boero. Sie inspirierten Gitarristen wie Gaspar Sagreras und seinen Sohn Julio, Antonio Sinópoli, Gerónimo Bianqui Piñero, Andrés Chazarreta, Abel Fleury, Héctor Ayala und viele andere.

Als sich in den 1920er und 1930er Jahren in Argentinien Gruppierungen bildeten, die sich einer universellen avantgardistischen Musisprache zuwandten – „Grupo Renovación“ um die Gebrüder Juan José und José María Castro sowie „Agrupación Nueva Música“ um Juan Carlos Paz (der auch Mauricio Kagel angehörte) – erfolgte im Gegenzug eine verstärkte Hinwendung zur Folklore: Protagonist dieser „Back to the roots“-Bewegung war der Musikwissenschaftler Carlos Vega.

Das folkloristische Erbe

Eduardo Falús Kompositionen wurzeln vor allem in der folkloristischen Musik des Nordwestens Argentiniens, wo es eine große Bandbreite an Lied- und Tanzformen gibt:

Der „Gato“: ein lebhafter Paartanz in Dur, dessen Name „Katze“ bedeutet: wie die Katze das Rebhuhn, so verfolgt der Mann die Frau, dementsprechend sind die Texte in der gesungenen Form oft von erotischer Koketterie. Beim Tanz gibt es „Zapateo“-Einlagen in der Art des Stepptanzes. Einer der bekanntesten Gatos von Falú trägt den Titel „El Pulguiento“ – „der von Flöhen Befallene“. In einer Variation lässt der ausführende Gitarrist die Flöhe „hüpfen“, was der linken Hand Gelegenheit gibt, eine zielsichere Grifftechnik unter Beweis zu stellen.

Die „Chacarera“- ein weiterer lebhafter Tanz, zu meist in Moll, dessen Name von „Chacra“ – kleines Stück bebauten Landes – abgeleitet ist. Die Texte sind von satirischem Wortwitz geprägt. Wird die Chacarera von einer Gruppe gespielt, so gibt es regelmäßig virtuose Perkussions-Breaks des „Bombo“-Spielers. Der Bombo ist eine große Umhängetrommel, bei dem der Ausführende mitunter die Holzstiele seiner Schlegel auf dem hölzernen Rand der Trommel „tanzen“ lässt.

Der „Carnavalito“: ein Rundtanz mit pentatonischer Melodik und binärer Rhythmik, wie sie typisch für die andine Musik sind, was auch auf die Instrumente zutrifft, die hier zu Geltung kommen: Quena- und Sicu-Flöten, Charango und Bombo. In Falús Komposition „Preludio y Danza“ wird dieses Spektrum mit seinen reichhaltigen Anschlags- und Perkussionseffekten auf die Gitarre übertragen.

„Vidalas“ und „Vidalitas“: melancholische Liedformen, zumeist solistisch vorgetragen mit pentantonischer oder modaler Melodie, die auf den indigenen Ursprung hinweisen. Falús „Vidalita“ greift diese auf und zerlegt sie in einer längeren Tremolo-Variation.

Der auch in Uruguay populäre „Estilo“ besteht aus einem langsamen lyrischen und einen lebhaften tänzerischen Teil. Gelegentlich klingt die Nähe zur Milonga an, wie auch die Texte zumeist auf das Gaucho-Milieu der Pampa verweisen.

Die argentinische „Zamba“ – auch als „Königin“ der argentinischen Folklore bezeichnet – hat mit ihrem brasilianischen Namensvetter keine musikalischen Gemeinsamkeiten. Im Gegensatz zur afrikanisch geprägten Samba mit ihrem ekstatischen Rhythmus ist die argentinische Zamba von melodiöser Melancholie und wird in gemessener Paarchoreographie getanzt. Vor allem in Partnerschaft mit dem Dichter Jaime Dávalos schrieb Falú eine ganze Reihe von Zambas, die inzwischen zum Standardrepertoire argentinischer Musik gehören: „Zamba de la Candelaria“, „Zamba de un Triste“, „La Nostalgiosa“, „Cuando se dice Adiós“.

„Malambo“: den temperamentvollen Gaucho-Tanz verarbeitete Falú mehrfach, am eindrücklichsten wohl in „Pamperada“, die den „Pampero“, den kalten Sturmwind aus der Pampa beschwört, der auch kolossale Baumstämme zu entwurzeln imstande ist. Die rhythmische Lebhaftigkeit wird in zahlreichen „Rasguido“-Variationen ausgeführt, die auf Anschlagtechniken des Flamenco-Rasgueado zurückgeht.

Die sechssätzige „Suite Argentina“ – eines seiner ambitioniertesten Werke – schrieb Falú in zwei Fassungen, für Solo-Gitarre sowie für Gitarre und Kammerorchester, letztere wurde durch eine Einspielung mit der „Camerata Bariloche“ bekannt.

Obwohl sich Falú uneingeschränkt zur Tonalität bekennt, kommt in seinen Werken nie Langeweile auf, da er die Möglichkeiten des Instrumentes harmonisch und kontrapunktisch auch in den hohen Lagen voll ausschöpft, was sich in einem stets dichten, „satt“ klingenden Satz niederschlägt. Hier wird der Einfluss des Komponisten Carlos Guastavino deutlich, bei dem Falú längere Zeit Unterricht genommen hat. Technisch bewegt sich der Anspruch an den ausführenden Gitarristen zumeist auf hohem Niveau, zumal bei aller Virtuosität der typisch lateinamerikanische „Swing“ nicht vernachlässigt werden darf. Charakteristisch ist auch die häufige Melodienführung in parallelen Dezimen, die Falús Werken den melancholischen Schmelz verleiht.

Die Gitarristik in Argentinien ist mit der Zeit gegangen und hat herausragende Musiker wie Máximo Diego Pujol, Juan Falú (Neffe von Eduardo Falú), Quique Sinesi oder Victor Villadangos hervorgebracht, doch ragt Eduardo Falú mit seiner einzigartigen Dreifachbegabung Gitarrist – Sänger – Komponist auch heute noch aus der Menge der Spitzenmusiker heraus.

Manuel Negwer   (zuerst in ZUPFMUSIKmagazin 1/1999)